Neulich habe ich bei Spiegel Online von einer interessanten Umfrage eines großen Meinungsforschungsinstituts gelesen, in der die Selbstwahrnehmung von West- und Ostdeutschen abgefragt wurde. Außerdem wurde gefragt, wie die „Wessis“ die „Ossis“ sehen und andersherum. Das Ergebnis kurz zusammengefasst: Viele „Ossis“ (rund 40 Prozent) halten die „Wessis“ für arrogant, geldgierig und oberflächlich und schätzen sich selbst zum großen Teil (fast 50 Prozent) als fleißig, bescheiden und erfinderisch ein.
Einige „Wessis“ (rund 25 Prozent) halten die „Ossis“ für misstrauisch, ängstlich und unzufrieden. Die „Wessis“ sehen sich aber im Gegensatz zu den „Ossis“ viel eher selbstkritisch: Denn nur 17 Prozent von ihnen schreiben sich selbst ähnlich positive Eigenschaften zu, wie es die „Ossis“ tun.
Das verheerende ist: Solche Umfrageergebnisse sind im Grunde erwartbar. Denn die Ost/West-Trennung ist immer noch erstaunlich präsent – und das nicht nur in den viel zitierten „Köpfen der Deutschen“. Nein, die innerdeutsche Grenze verläuft ganz offiziell auch heute immer noch da, wo es um Datenmaterial geht.
Beispielsweise bei den Arbeitslosenzahlen oder bei den meisten Erhebungen des Statistischen Bundesamts. Googlet man nach „West-Ost-Gefälle“ kann man sich eigentlich nur wundern, welche Bereiche angeblich noch heute von 41 Jahren gegenläufiger Staatenentwicklung beeinflusst sind: Gehalt und Gleichberechtigung, Antibiotikavergabe, Mitgliederzahlen in Sportvereinen oder die Internetnutzung im Allgemeinen.
Sind sich „Ossis“ und „Wessis“ 22 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch so fremd oder trägt die statistische Unterteilung von West- und Ostdeutschland, von „alten“ und „neuen Ländern“, dazu bei, dass wir immer noch diese dämliche Grenze ziehen müssen?
Fakt ist: Das deutsch-deutsche Verhältnis ist immer noch von Vorurteilen belastet – auf beiden Seiten. Ich persönlich bin da schon einen Schritt weiter und betreibe meine ganz eigene Wiedervereinigung, indem ich mit einer „Ossi-Frau“ zusammen bin. Bei Ausflügen in ihre thüringer Heimat ist die DDR tatsächlich noch in maroder Bausubstanz, Ostalgie-Produkten und dem MDR-Fernsehprogramm präsent. Allerdings habe ich persönlich das Gefühl, dass sie dies insbesondere bei der Generation ist, die in die DDR hineingeboren wurde und die noch lange Jahre in ihr gelebt hat. Eine Generation also, die seit ihrer Geburt nichts anderes kannte und zur Wendezeit vielleicht schon zu alt war, um die Welt jenseits des „eisernen Vorhangs“ erkunden zu wollen.
Das führt unter anderem dazu, dass man als „Wessi“ bei einem Urlaub an der deutschen Ostseeküste von sächsischer und thüringer Mundart umgeben ist und sich irgendwie in der Minderheit fühlt. Ostdeutsches Urlaubsverhalten nach der Devise: Was früher schon gut war, muss es auch heute noch sein! Und wo wir schon bei Mundart waren: Überhaupt ist die „Sprache des Ostens“ in der West-Wahrnehmung ja meist mit Sächsisch gleichgesetzt. Und weil Sächsisch sich für die meisten „Wessis“ anhört wie Klingonisch mit Kehlkopfkrebs, rangiert der „Sound des Ostens“ auf der Beliebtheitsskala der Dialekte auch ganz weit hinten. Vielen jungen „Ossis“, die in den Westen abwandern, ist ihre sprachliche Identität dieser Logik zur Folge derart peinlich, dass sie eine „Dialektbereinigung“ durch einen Sprachheilpädagogen für notwendig halten, um im Job ernst genommen zu werden!
Auch eine Generation nach Mauerfall also noch tiefe Verunsicherung besonders auf Seiten der „Ossis“ und gleichmäßig verteilte Vorurteile in West und Ost. Wie lang wird es wohl dauern, bis „Ossis“ „Wessis“ nicht mehr als arrogante Heuschrecken wahrnehmen und „Wessis“ nicht als erstes an Trabis und Bananen denken, wenn sich ein neuer Kollege aus Leipzig vorstellt? Vermutlich müssen erst noch 50 Jahre vergehen, bis die letzten Zeitzeugen der DDR weggestorben sind, damit wieder Normalität im deutsch-deutschen Verhältnis einkehrt. Vielleicht haben sich die Klischees dank Tatkräftiger Unterstützung von Olli Geißen und Katarina Witt bis dahin aber auch derart verfestigt, dass sie eine vollkommende Wiedervereinigung für immer unmöglich machen.
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