Mein Interview (hier geht es zum ersten Teil) mit Jan Loh, dem alle-mal-malen-Mann, dauert insgesamt eine gute Dreiviertelstunde. Der laute Kneipenbetrieb im Bonner Salvator macht es mir oft schwer den 82-Jährigen zu verstehen. Oft bringt er Sätze nicht ganz zu Ende oder diskutiert derartig leidenschaftlich, dass ich nicht immer ganz folgen kann. Da mein Aufnahmegerät mitläuft, kann ich aber im Nachinein im Zweifel noch einmal zurückspulen und so das Gespräch wirklichkeitsgetreu wiedergeben.
Jan Loh macht bei mir nicht nur eine „Gesichts-Charakter-Kurzdeutung“, sondern zeichnet auch mich und meine Freundin, die als Fotografin dabei ist und Bilder macht. Außerdem deutet er noch meine Handschrift. Weil es den Rahmen sprengen würde, taucht die Handschriftdeutung in diesem Blog-Artikel ebensowenig auf wie Gespräche, die ich mit Jan Loh bei ausgeschaltetem Aufnahmegerät geführt habe.
Einen dieser nichtaufgezeichneten Gesprächsfetzen möchte ich trotzdem kurz wiedergeben: Auf die Frage, was der alle-mal-malen-Mann in seiner Aktentasche Abend für Abend mit sich herumträgt, sagt er: „Da ist das wichtigste überhaupt drin! Wissen Sie was das ist?“. Natürlich weiß ich es nicht. Jan Loh freut sich und sagt nach einer kleinen Pause: „Luft! Da ist Luft drin!“.
Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie sind schon über 80…
…das steht in Wikipedia! Aber ja, das stimmt.
Andere Menschen in Ihrem Alter pflanzen vielleicht im Garten Salat an, Sie ziehen nächtelang durch die Kneipen und malen – warum tun Sie sich das eigentlich an?
Weil’s interessant ist! Ich kann ja auch dann morgens schlafen, es ist keine Arbeit – es ist eine kreative, schöne, interessante Betätigung! Ich kriege ja auch meine Bewegung dadurch. Und ich mache Menschen eine Freude. Da kommt viele zusammen.
Anderen Freude zu machen ist noch eine größere Freude, als Freude zu empfangen!
Wie ist das eigentlich, wenn Sie die Leute malen? Ich hab den Eindruck Sie machen die Preise spontan. Oder haben Sie eine feste Preisliste?
Nein! Erst mal: Preise hab ich überhaupt nicht. Das ist ein marktgemäßes Wert-Leistungsverhältnis. Ich hab so genannte „Symbolentgelte“. Können Sie sich vorstellen, was damit gemeint ist?
Das müssen Sie mir erklären!
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Volkswagen-Werk dem General Motors-Konzern für einen Dollar angeboten. Die haben aber abgelehnt, können sie nichts mit anfangen! Das ist ein Symbolentgelt. Dass man also Geld nimmt, damit nicht gesagt wird: Wir haben das umsonst geschenkt gekriegt.
Bonn besteht ja zum größeren Teil aus Schülern und Studenten. Und die können ja nur ganz wenig zahlen. Ich hab so Entgelte, wenn ich so ein Einzelportrait mache, von sagen wir mal: Fünf Euro. Wenn ich mehr Leute mal, dann vielleicht für einen Euro pro Person, bei vielleicht 10 Leuten. Je mehr Leute, umso billiger für den Einzelnen.
Bei Kindern mach ich’s auch manchmal umsonst. Wenn ich dann so situiertere Leute sehe, dann geh ich etwas hoch, aber nicht so viel. Man hat ja auch immer die Vergleichsmöglichkeit: Der macht das ja auch bei denen umsonst, bei mir ist es auf einmal mehr… Vielleicht so drei Euro bei drei Leuten pro Person.
Bei mir ist es ja auch schneller! Was bei anderen Stunden dauert, das mache ich in Minuten.
Woanders könnte ich vielleicht mehr verdienen, aber: Überraschender Weise hab ich ja so viele Fans, das Interesse ist so groß! Das spricht sich dann rum, dann lassen die sich immer wieder mal malen für ein paar Euro.
Wie viel Geld am Abend können Sie mit der Zeichnerei machen?
Ach, das ist auch immer so eine Sache: Manchmal mach ich so drei, vier, dann aber auch fünf, sechs Bilder am Abend, oder auch schon mal zehn am Wochenende.
Ja, nicht nur da! Wissen Sie was „original“ heißt? Original heißt ursprünglich. Und ursprünglich ist jeder. Jeder ist ein Original in dieser Hinsicht. Man nimmt aber oft so allgemeine Begriffe und wendet sie auf spezielle Fälle an, die an und für sich für jeden gelten! Jeder ist original und jeder ist auch schön auf seine Weise – wie ich schon sagte. Wir sind alle original.
Das ist ja auch teilweise schon wieder ein Lob: Oh, der ist ja originell, der schafft etwas neues! „Original“ ist so etwas abgegriffen oder steht so im Gefühlsansehen.
Aber Sie sind bei Wikipedia in dieser Kategorie drin und Sie sind das einzige noch lebende „Bonner Original“ dort – fühlt man sich da geschmeichelt oder ist Ihnen das egal?
Egal nun grade nicht. Es freut mich schon. Aber so stark tangiert mich das nicht. Ich kann ja auch nichts dafür! Das haben ja die anderen alle gemacht. Das halbe Internet ist voll von meinen Bildern! Ich hab kein einziges Bild selbst ins Internet gestellt.
Dann gab’s hier so unter den Studenten, zur StudiVZ-Zeit, an allen Universitäten Fan-Gruppen. Jetzt gibt’s ja fast nur noch facebook. Und ich weiß nicht wie die einzelnen Unis die Kurve gekriegt haben – in Bonn aber sehr gut. Vor zwei Monaten, das ist meine letzte Auskunft, gab’s da über fünftausend Fans (Anmerkung des Autors: Jan Loh meint die „Der alle-mal-malen-Mann“-Fanseite bei facebook, die ein Loh-Fan erstellt hat).
Dieses Echo überrascht mich eigentlich.
Dafür, dass Sie kein Fernsehen und kein Radio haben, sind Sie gut über facebook informiert…
Ja, ich frage immer. Ich komme ja selbst nicht ins Internet rein, weil ich nicht Mitglied dieser Organisation bin. Aber ich kriege schon Informationen.
Wie würden Sie ihren Zeichenstil oder Malstil beschreiben?
Ach, darüber hab ich mich auch noch nicht bemüht. Also ich zeichne möglichst was ich sehe. Und auch möglichst positiv, weil die meisten Leute mit Komplexen rumlaufen, sich nicht mögen. Dann soll man ihr Wertbewusstsein entwickeln. Es gibt an sich keine hässlichen Menschen! Es gibt nur außergewöhnliche…
Die meisten haben auch nicht die Kraft zur eigenen Persönlichkeit. Die meinen, je mehr sie angepasst sind, um so schöner, umso sicherer und dergleichen sind sie. Die bilden auch keinen eigenen Geschmack heraus und passen sich einfach an. Die allermeisten haben nur Modegeschmäcker und lassen sich nicht mal für einen Cent malen!
Sie bilden also das ab was Sie sehen, haben Sie gesagt…
Ich versuche das, ich bemühe mich darum! So ganz schaff ich das natürlich nicht.
Da gibt es diesen einen Kritikpunkt, der immer wieder auftaucht, dass Ihre Bilder alle gleich aussehen und sich die unterschiedlichen Personen nur durch äußere Merkmale wie Brillen oder Frisuren unterscheiden – was sagen Sie dazu?
„Die sehen ja alle gleich aus!“ Insofern ist das richtig, sagen wir mal „ähnlich“: Die Leute schauen bei mir alle fröhlich, sie freuen sich alle. Die Stimmung ist schon mal sehr ähnlich, das ist richtig. Und dann mal ich die Leute für gewöhnlich, wenn sie nicht grade an der Tischfront sitzen, so von der Seite – wie sie miteinander kommunizieren. Und das gibt auch wieder eine Fröhlichkeit und weil die Leute auch meist in einem ähnlichen Alter sind, ist dann auch die Verschiedenheit nicht so groß.
In der oberflächlichen Beurteilung sieht man so die Hauptsache, das Unwesentliche, die kleineren Teile, werden übersehen. Und wenn etwas ähnlich ist: Aha, das ist ja gleich! Wenn Sie zum Beispiel drei Mal einen aus Dortmund besoffen irgendwo sehen, sagen wir mal in Köln – was meinen Sie dann wie schnell es heißt: Die Dortmunder sind immer besoffen! Die Verallgemeinerung und die Reduktion des Gesamtbegriffes auf ein übliches Urteil.
Zum Beispiel das Gleiche ist ja viel einfacher zu denken als das Verschiedene. Das Verschiedene ist komplex. „Das ist ja alles das Selbe! Alles der selbe Scheiß!“ Wie schnell die Leute mit solchen Urteilen sind. Mit völlig vereinfachten, emotionalen Urteilen, ruck-zuck! Und daraus entsteht dann – und das erleb ich ja auch immer wieder: Die sehen ja alle gleich aus! Vor allen Dingen bei Neulingen.
Sie haben es vorhin selber gesagt: Ihre Bilder entstehen sehr schnell. Für ein Einzelportrait brauchen Sie meist nur fünf bis zehn Minuten…
Man kann an einem Bild Minuten malen, man kann Jahre malen. Die Mona Lisa kennen Sie ja. Da hat der Leonardo Da Vinci genauso lange dran gemalt wie Michelangelo an seiner ganzen Sixtinischen Kapelle. Man kann das ganze Leben malen, ganz fertig wird man nie.
Ich betrachte gar nichts als fertig! Ich mache das so, dass man das Wesentliche erkennen kann. Und dann auch zeitökonomisch. Je mehr Sie nun weiter arbeiten, desto relativ weniger schaffen Sie dann. Je mehr man in die Einzelheiten geht, je mehr Energie man auf die Einzelheiten verwendet, die auch teilweise wieder vom Wesentlichen ablenken können, desto weniger schafft man aufs Ganze gesehen.
Jetzt haben sie ja viele kleine Kunstwerke geschaffen…
Ja das sag ich auch nie, Kunstwerke! Höchstens mal so im saloppen Zusammenhang. Wenn ich kein anderes Wort zur Verfügung habe oder es in die Stimmung passt. Aber dann auch so ein bisschen zum Spaß.
Sagen wir’s mal mit Ihren Worten: Sie haben vielen Freude gemacht mit ihren Werken…
Sagen wir mal: Bilder!
…wie möchten Sie einmal in Erinnerung bleiben?
Ach ja… Das bestimme ich ja nicht. Das ist auch nicht so wichtig. Die Erinnerung, also die Kenntnisnahme, ist ja im ganzen nicht schlecht. Das wird wahrscheinlich auch so bleiben. Man verbessert sich ja auch ständig. Man lernt bewusst, mal unbewusst, was neues. Man kann immer Besseres immer schneller, immer kommunikativer darstellen. Und das ist auch eine besondere Freude, wenn man merkt, dass man immer besser wird. Ganz von selbst. Wieder ein gutes Ding, was von selbst kommt und nix kostet!
Was lernen Sie denn noch dazu?
Ach, man lernt schneller die Gesamtheit der Leute zu erfassen. Den Ausdruck, die Form. Inhalt, Stimmung und Form eines Gesichtes. Und man lernt wie unendlich reichhaltig ein Gesicht ist. Man lernt auch über das, was man unmittelbar sieht, hinauszusehen. Auch viel verschiedene Sehweisen: Zu sehen, wahrzunehmen und zu deuten. Man hat mal das menschliche Gesicht als die Interessanteste Fläche des Universums definiert – das ist gar nicht so unrichtig.
Haben Sie eigentlich eine feste Route, die Sie Abends durch Bonn nehmen, wenn Sie zeichnen?
Ja, blöder Weise ja. Was mich überrascht ist eigentlich, dass das hält: In etlichen Gaststätten gibt’s Leute, die lassen sich immer wieder malen. Während in anderen Gaststätten wieder weniger – woran das nun im einzelnen liegt, das ist schwer zu sagen.
Wenn die Gaststätte zu voll ist, ist das auch nicht so günstig. Zu leer wieder auch nicht, aber je weniger da sind, umso größer die positive Einstellung. Wenn einer da sitzt, ist die Chance größer bei dem einzelnen anzukommen, als wenn mehrere da sitzen und dann bei jedem einzelnen anzukommen. Das richtige Verhältnis von Fülle und Leere, von Jungen und Alten – das hängt von so vielen Faktoren ab!
Gibt es irgendwelche Läden, in die Sie nicht reingehen würden?
Einige wollen es nicht. Einige sind dagegen.
Sind Sie schon mal rausgeschmissen worden?
Ne, rausgeschmissen worden nicht. Aber es wird schon mal gesagt: Das wird nicht gerne gesehen, die Leute wollen nicht gestört werden. In Köln käme man praktisch in jede Kneipe rein! In Bonn sind einige reservierter. Woran das nun liegt? Der Kölner ist insgesamt aufgeschlossener. Aber der Gesamtabsatz ist auch nicht höher in Köln als hier. Aber auf Grund der Gesamtverhältnisse in Bonn mit diesen Fans, arbeite ich lieber in Bonn.
Es ist schon nett in Bonn zu arbeiten! Wer sich nicht von mir malen lässt, ist weder ein Bonner, noch ein Rheinländer, heißt es. Oder einige, die von Bonn wegziehen, sagen zu mir: Sie sind für mich Bonn! Die wollen von mir ein Autogramm haben und sagen: Nichts erinnert mich so sehr an Bonn, wie Sie!
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